Alles außer gewöhnlich

Der Gäa e.V. hatte zu seinem 30-jährigen Jubiläum am 15.06. im Thüringer Heichelheim eingeladen. Gemeinsam mit 200 Gästen feierten die Dresdner ihre fast abenteuerlich anmutende Entwicklung von einer politischen Keimzelle zum erfolgreichen Bio-Anbauverband.

 

Manche der Gäste reisten mit dem Fahrrad an, andere kamen mit dem Tesla zur Mühle am See. Dort, zwischen Maultier und Badesee, waren dann aber alle gleich: Politiker, Landwirte, Professoren und andere Wegbegleiter des Gäa-Vereins. Sie alle waren gebeten worden, statt großer Geschenke eine Blume mitzubringen, und so war es am Ende ein großer, bunter Blumenstrauß durchsetzt mit Wildrosen, Korn- und Sonnenblumen, der da am 15. Juni in der Mittagssonne leuchtete – als ein Sinnbild des Vereinsmottos: „Alles außer gewöhnlich“!

 

So außergewöhnlich wie die Geburt des Dresdner Verbandes: damals, in den 80ern, hatten sich einige Aktivisten aus Stadt und Land als Protestgruppe zusammengetan, in der man zunächst mit nur wenigen Eingeweihten über neue Ideen für die Landwirtschaft diskutierte, über die negativen Auswirkungen der Industrialisierung, wie der Atomkraft und der Umweltverschmutzung. „Bio“ – das war damals noch etwas für Überzeugungstäter, Absatzwege für biologische Produkte waren nur rudimentär ausgebildet. Neuen Aufwind bekam der Verband, als ein westdeutscher Agrarprofessor Fachliteratur in die Gruppe schleuste. Dann kam der Mauerfall und mit ihm die Kontakte zur internationalen Vereinigung für biologische Landwirtschaft (IFOAM). Die Gäa wurde bundesweit bekannt, das zähe Macher-Mindset von damals ist ihr aber geblieben.

 

Dr. Ulrich Hamm von der Universität Kassel holte bei seiner Rede ein Gänseblümchen aus der Reisetasche. „Es ist klein, aber mit unbändiger Kraft ausgestattet, um sich gegen das massenhafte Grün zu behaupten. Es ist stets freundlich und ärgert uns weder mit Dornen noch mit Milchsaft, der braune Flecken hinterlässt.“ Überhaupt zog sich das Thema Menschlichkeit und Augenhöhe nicht nur durch die Grußworte der Redner, sondern durch das gesamte Fest. Es gab Yoga im Grünen, die Kinder rannten mit Handtüchern zum See, ein Imker nahm ein paar mutige Gäste mit zur Bienenbegegnung, zwischendurch wanderten vollbehangene Kirschzweige durch die Reihen, von der sich jeder eine Handvoll der roten Früchte pflückte.

 

Neben all der Idylle war allerdings auch klar: Die Bio-Branche verändert sich und stellt die Anbauverbände vor neue Herausforderungen. „Die Entwicklung am Markt spielt uns in die Hände“ –so der Konsens der Redner. Aber ganz so einfach sei es nicht, meinte Ackerbauer Carsten Neumeister. „Bislang war unsere Branche ja eine Insel, auf der sich die Ökos gegenseitig die Bälle zugespielt haben. Aber jetzt ist der Kuchen so groß geworden, dass auch die Konventionellen ihr Stück einfordern.“ Ob das gut oder schlecht ist, sei abzuwarten, aber wer wachsen will, der müsse eben auch mit artfremden Strukturen klarkommen. Diese könnten allerdings auch eine Chance darstellen: Bislang war für viele Umstellungsinteressierte die fehlende Abnahmesicherheit ein Risikofaktor. Wenn sich die konventionellen Strukturen auch im Biobereich manifestieren dürften, würden das die Hemmschwelle für alle noch skeptischen Landwirte senken. Und das sei ja erst mal etwas Gutes. Ob sich daraus ein Zwei-Klassen-Bio entwickeln könnte? Möglich wäre es, aber der Gäa-Verband hat sich noch nie vor Herausforderungen gescheut.

 

„Herzblut, entwaffnende Aufrichtigkeit und auch im Kampf ein Lächeln auf den Lippen.“ Diese Werte hat Jörg Reuter aus seiner Zeit im Verband mitgenommen. Er betreibt ein Beratungsunternehmen für die ökologische Lebensmittelwirtschaft und zehrt noch heute von seiner Zeit im Öko-Verband. Die Regionalvermarktung im Osten war Ende der Neunziger schwer, es gab Rangkämpfe zwischen den Verbänden. Den Bio-Gedanken hatte das nicht vorangebracht, die Gäa ist sich durch diese Zeit allerdings treu geblieben: Sie ist noch immer eine Wertegemeinschaft, die sich durch flache Hierarchien und hohe Ansprüche, gerade im sozialen Bereich, auszeichnet.
„Es haben ein paar schräge Vögel unseren Weg gekreuzt, aber wir haben die Arme offengehalten, weil wir wussten: Irgendwas Gutes wird dabei rumkommen.“ erinnerte sich Jörg. Und so ist es dann auch gekommen. Heute kann der Verband auf 30 Jahre Erfahrung zurückblicken, die sich als Erfolgsgeschichte entpuppten.

 

Von diesem Erfolg profitieren auch die Mitglieder des Verbandes. Birgit Nestler hatte gleich doppelten Grund zur Freude: Erst seit Anfang des Jahres ist der familiengeführter Brandenburger Milchviehbetrieb biozertifiziert. Durch die Gläserne Molkerei, enger Partner der Gäa, wurden sie auf den Förderpreis der Nürnberger BioFach aufmerksam gemacht und hatten ihn im Februar prompt auf der Messe verliehen bekommen. Zusätzlich klingelte dann mitten im Gespräch das Telefon: Ein gesundes Kälbchen wurde geboren.

 

In Vorbereitung auf seine Rede hatte Jörg Reuter alte E-Mails von „Konnie“, Kornelie Blumenschein, bis heute Vorsitzende des Verbands, durchforstet und stieß dabei auf folgendes Resümee: “Auf Messen hatten die anderen vielleicht die größeren Stände, wir hatten auf jeden Fall die besten Partys.“ Daran war spätestens dann nicht mehr zu zweifeln, als Landwirt Toni Schreiber gemeinsam mit seiner „Farmers Blues Band“ sanfte Klänge durch die Abendluft schickte und Kornelie selbst das Saxophon zur Hand nahm. Und während der Blumenstrauß seine unzähligen Füße im Wasser kühlte und sich die Musik mit dem zufriedenen Stimmgewirr satter Gäste mischte, wurde noch mal deutlich, dass bei der Gäa nicht nur Menschen mit den richtigen Ideen im Kopf, sondern vor allem mit der richtigen Überzeugung im Herzen zusammenkommen.

 

 

 

Text & Bild © Aruna Reddig